Durch das Klavierüben kristallisiert sich immer mehr heraus, wie wichtig das Dranbleiben ist, besonders an den Stellen, die noch nicht rund laufen. Hier ist die Aufmerksamkeit der Schlüssel, die das Problem, die Disharmonie erst ausfindig macht, und dann solange darauf bleibt, bis es wieder durchfließt. Die Befriedigung, die dadurch entsteht ist unbezahlbar. Nichts, was man konsumieren kann oder geschenkt bekommt, kann da herankommen. Es führt leider kein Weg drumherum: Immer wieder muß die Blockade neu konfrontiert werden, bis es eben durchflutscht und Sinn ergibt.
Die Frage ist nur: Kann man an diesem unangenehmen, ungelösten Punkt dranbleiben, und zwar solange bis es gelöst ist? Wichtig zu verstehen ist, daß der Energieaufwand keine zersetzende Selbstquälerei bedarf, sondern nur den direkt vom Ursprung her kommenden Impuls, es wissen und können zu wollen. Mit dieser Kraft im Gepäck ist nämlich kein Hindernis zu groß.
Ein Musikstück ist also sowas wie ein Lehrmeister, so kommt es mir vor. Es ist sogesehen nichts, was man irgendwann "kann", quasi als Besitz, wofür man gearbeitet hat, und nun einsackt, sondern man muß sich den Tonfolgen komplett hingeben, weil nichts von einem selber da noch reinfunken darf, damit es durch die Hände gleitet. Die ganzen zunächst fast schon als unmöglich abgetanen Harmoniefolgen und benötigten, simultan zu erfolgenden Fingerbewegungen in beiden Händen, lassen nichts anderes zu, als ein Verschwinden des Ichs und Aufgehen in einem zeitlosen Kompositionsstück.
V. a. die Klassiker eignen sich dafür sehr gut, da die technischen Anforderungen meist mehr verlangen als z. B. Popsongs, und dabei die Musik viel tiefer zu einem durchdringt, alle Zentren in Beschlag nimmt und so umso mehr einen transformierenden Faktor für einen selber bereithält.
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