Was ich immer wieder beobachten kann: Die meisten Menschen sind todunglücklich. Ausnahmen bilden vielleicht die wenigen, frisch verliebten Paare, oder kleine Kinder. Alle anderen Menschen dagegen haben sowas wie einen Schleier um sich herum, eine eher verspannte, fast schon enttäuschte Ausstrahlung und Aura. Das sage ich nicht aus Überheblichkeit, sondern ich leide da auch mit, denn ich weiß, daß das Leiden dieser Menschen überhaupt nicht notwendig ist. Selbst Schmerzen würden dieses Leiden nicht rechtfertigen, denn diese sind meist auch nur zeitlich begrenzt, während das Ego-Leiden permanent ist bzw. vor allem den Wachzustand andauert, und daher deutlich problematischer und belastender ist.
Was ich sehe: Die Menschen heften ihr Glück immer an irgendwelche Dinge in dieser Welt: Frauen an ihre Kinder oder Familie, Männer an beruflichen, finanziellen Erfolg, gesellschaftlichen Status, junge Männer an ihre Chancen bei Frauen, junge Frauen an Resonanz in ihrer Peergroup. Irgendwohin geht das Streben. Bedingungen sollen erfüllt werden. Und auch bei sogenannten "Spirituellen" dreht sich alles darum, wie die Erleuchtung zu erlangen ist, wie man sie erreichen kann, was dazu "gewußt" werden muß. Überall fehlt noch dieses eine Ding, diese eine Sache, die alles zusammenfügt, und endlich zum Ankommen führen würde.
Ich bin jetzt mal provokativ: Ich merke meine Erleuchtung vor allem daran, daß ich manchmal ohne Grund zufrieden bin. Einfach so. Ich kenne mich mittlerweile nämlich dahingehend sehr gut, daß ich weiß, daß die angeblich so tollen Glücksmomente, mich nie wirklich erfüllen konnten, weil damit unvermeidlich immer auch das Wissen da war, daß sie wieder vorbeigehen werden. Sei es ein gutes Essen, eine nette Begegnung mit anderen Menschen, schöne Natureindrücke im Ausland, Feiern wie Geburtstage oder Hochzeiten. Ich wußte immer: Das sind zwar sehr nette Dinge, keine Frage, aber früher oder später muß ich so oder so wieder in mein "echtes Leben" zurück, also in den Alltag, sei es Schule, Arbeit, Einkaufen, was in der Wohnung in Ordnung bringen, Putzen, Kochen, Auto fahren, Pflicht-Erledigungen vollziehen, Behördengänge, Arztbesuch, man nehme eine der banalen Tätigkeiten, die jeder im Laufe seines Tages verrichtet und die sich regelmäßig wiederholen, immer gleich und deshalb anödend wirken. Wer Familie hat, nehme noch die ganzen Dinge plus Kinderbetreuung und -umsorgung dazu.
Oft fahre ich hier im Alpenvorland auf Hügel, von wo aus bei gutem Wetter manchmal sehr klar der Flughafen, die höchsten Gebäude Münchens wie der Fernsehturm, sowie die vorderste Alpenfront zu sehen ist. Auch mein Betrieb befindet sich auf so einem Hügel, der von Süden aus einer der ersten nach großflächig flacherem Land ist. Ich habe also sehr oft die Möglichkeit dieses Spitzenklasse-Panorama zu genießen, ohne, daß ich irgendwo extra hin muß oder Geld bezahlten müßte. Da, wo ich bin, ist schon ungemein viel geboten, merke ich dann. Oft wirkt diese Aussicht aber nur wie ein Hintergrund, eine völlig irrelevante Kulisse, die nicht groß meine Aufmerksamkeit fesselt. Ich kenne nämlich gut von mir, daß ich meine, diese Eindrücke irgendwie fokussieren und im Gehirn abspeichern zu müssen, damit sie nicht verloren gehen, und kultivierte die Vorstellung, daß ich, je mehr ich davon gespeichert habe, umso reicher als Mensch werden könnte. All das sehe ich heute als unnötige geistige Anstrengung. Es gibt da keine besonderen Sinneseindrücke oder Erfahrungen zu sammeln oder zu horten, weil jeder Moment, der bewußt begleitet wird, ohnehin anders, einzigartig und daher völlig frisch ist, wohingegen die Erinnerung z. B. auf so einen Alpenblick, so schön er auch gewesen sein mag, grau, fad und tot ist. Im Hier und Jetzt ist es sogar interessanter, wenn einfach nur eine Nebelwand vor einem ist, völlig verregnet und grau, und nichts Spektakuläres zu sehen ist. Wo niemand ein Foto machen würde, sei es im Gehirn oder mit einer Kamera. Im Hier und Jetzt ist all das trotzdem gleichwertig und von der Bedeutung her nicht verschieden; da gibt es kein "das ist schön", "das ist nicht schön", sondern alles ist und präsentiert sich so, wie es ist, hat selbst da Qualität, wo scheinbar nichts zu sein scheint, nur Feld, nur Strauch, nur Kies, nur Straße, nur Gebäude. Das "nur" ist hier schon Bewertung. "Nur" sagt "nur" jemand, der "nur" noch nicht genug hat, dem "nur" noch nicht genug ist.
Es gibt hierzu einen schönen Film mit dem Namen Pleasantville - Zu schön, um wahr zu sein, bei dem dieses "nur die eine Seite haben wollen" schön als das entlarvt wird, was es ist: Ein grandioser Irrtum. Wenn alle lachen, nur die Sonne scheint und jeder scheinbar immer euphorisch glücklich ist, dann ist was gehörig faul, weil die Wirklichkeit damit praktisch abgetötet wird, nicht mehr ihr volles Dasein in ihrem gesamten Erfahrungsspektrum zeigen kann. Dann ist es so, als gäbe es nur verschiedene Grautöne, während das eigentliche Potential ungleich viel bunter und farbenfroher ist, Tobsucht, Schreien, Albern, Donner, Regen, Sturm bietet. Auch Erotik ist schlichtweg nichts anderes als die Spannung zwischen den Gegensätzen. Das Leben ist nicht nur nette Aussicht, überlegenes Grinsen, schöne Blümchen oder freundliche Mitmenschen, sondern gehört um vollwertig erfahren zu werden, ordentlich aufgemischt. Nur dann hat wirkliche Freude und wirkliches Aufblühen eine Chance.
Vor allem das Christentum hat hierzulande viele Menschen ordentlich verkorkst, denn sie versuchen nett, höflich, hilfsbereit zu sein, obwohl es in ihnen wie in einem geschlossenen Dampfkessel brodelt. Sie sind nämlich in Wahrheit nicht so bzw. fühlen sich nicht authentisch danach, so zu agieren, sondern spielen das nur als pseudo-fröhliche, -lebensfreudige und -menschenfreundliche Fassade vor, während sie einem eigentlich am liebsten den Hals umdrehen würden. Würden sie sich das eingestehen, so wäre auch Haß, Wut oder Bösartigkeit noch gar nicht das Problem, denn dann wäre es am Licht und das Leben könne wieder arbeiten, würde für einen Ausgleich sorgen, was immer befreiend wirkt. Wird das aber verleugnet, und der ganze Frust nicht anerkannt, der im Leben durchaus vorkommen kann, so vergiftet dieser unterschwellig alles und jeden, womit dieser Mensch zu tun hat: Moralische Vorgabe ersetzt echtes Empfinden. Zwang ersetzt Spontanität. Projektion, Haß auf alles Andersartige (wenn man sich und sein Erleben ablehnt, wie kann man das bei anderen akzeptieren?) und dadurch auch Verunmöglichung echte Freude zu erleben, sind die Konsequenzen. Nur so sind Kriege, Zerstörungen und Massaker zu erklären: Die ursprüngliche, lebendige Kraft muß sich ausdrücken, so oder so, und sucht sich dann andere Kanäle.
Ich merke: Auf diese Leute kann ich gar nicht mehr böse sein. Auch nicht auf die ganzen Funktionäre da in Berlin, wie auch andere armselige Figuren, die da in der deutschen Öffentlichkeit auftreten. Diese Menschen wissen es einfach nicht besser. Ich meine: Wie kann man von unglücklichen Menschen, die sich selber verleugnen, erwarten, daß sie eine glückliche, inspirierte Gesellschaft bilden und aufbauen? Das ist doch so gar nicht möglich. Es ist, wie wenn ich Auto fahren wollen würde, wobei das wichtigste Bauteil fehlt: Der Motor. Dieser Gesellschaft fehlt diese lebendige Antriebskraft, und wirkt deshalb eben nur nach außen hin mobil, windschnittig und innovativ, während sie in Wahrheit nur eine leere Karosserie ist, fast gänzlich ohne Substanz. Sicher bißchen Innendeko gibt es da, schönen Innenraum, Chassis, vielleicht sogar Ledersitze, Bordelektronik, Klimaanlage, aber ohne Motor, was bringt mir all das? Ich wiederhole es, weil es so wichtig ist: Wie kann ich von dieser Attrappe erwarten, daß sie mich irgendwo hinbringt? Nirgendwohin können einen diese Menschen führen. Und in eine freie Gesellschaft schon gleich dreimal nicht, auch die ganzen Alternativen nicht. Das braucht man sich nichts vormachen.
Wer sich von dieser Vorstellung nicht lösen kann, der wird sein Leben lang hoffen und streben, aber nie zu einer Antwort kommen. Manchmal nämlich scheint es besser zu werden, manchmal, so wie jetzt, irrer, unfreier, wahnsinniger, aber all das ist gar nichts so wichtig wie man meint, weil es auch in der Gesellschaft nicht darum geht, nur die eine Seite zu erreichen. Diese Gesellschaft muß genauso sein, wie sie ist, und je verrückter sie ist, umso mehr hilft es einem, sich auf die für einen selber entscheidenden Punkte zurückzubesinnen: Was will ich eigentlich hier? Was will ich hier überhaupt machen? Und spielt es für diese Fragen wirklich so eine große Rolle, was da um einen herum alles passiert, wo man sich befindet, oder wie man sich fühlt? Das kann jeder für sich beantworten.
Ich für meinen Teil sehe immer deutlichere Konturen, wo für mich die Reise hingeht. Weniger in der Hinsicht, wie sich das physisch ausdrückt, sei es menschlich, geographisch, beruflich, finanziell, sondern eher in dem Aspekt einer Abklärung der für mich vakanten Blockaden und gleichzeitigen Verabschiedung dieser durch Bewußtwerdung, was mit Freisetzung der vorher gebundenen Kraft verbunden ist, was ein großes Abenteuer ohne Endziel ist, weil es sich in jedem Augenblick neu darstellt und vollzieht als Tiefergehen in mein schon immer vorhandenes Menschsein. Ich spüre das rein körperlich als zunehmende Kraft und Zugewinn an Möglichkeiten, Energie und Zuversicht, auch wenn es äußerlich wahrscheinlich gar nicht groß zu erkennen ist. In dem Moment muß ich nichtmal gut drauf sein, kann sogar Schmerzen haben, müde und schlaff rüberkommen, trotzdem ist da das Wissen da, daß auch das seinen Wert hat, denn wie schon erwähnt: Wer nur auf eine Seite kommen will, ist immer im Zwiespalt gefangen, kommt letztlich auf gar keiner Seite an, weil immer von da weggestrebt wird, wo man letztlich eben ist: Und das ist nun mal hier, mal dort, mal positiv gelaunt, mal eher pessimistisch, mal gute Austausche mit anderen, bis hin zu Sex, mal Wut und Ärger über dummes Verhalten anderer. Da gibt es keinen finalen großartigen Endpunkt der Glückseligkeit. Auch Erleuchtungserfahrungen, Extasen, Trance- und Orgasmuszustände enden, haben ihre Halbwertszeit. Es ist sicher eine Falle, die als entscheidened einzustufen, dafür, ob das eigene Leben als lebenswert eingestuft wird oder nicht. Menschen können das regelmäßig erfahren haben, davon die tollsten Geschichten erzählen, und sind trotzdem gescheiterte Existenzen. Wieso? Weil sie nicht verstanden haben, daß es all ihre Lebenszeit darum nie gegangen ist. Auch nicht darum viel zu wissen, viel zu können, viel zu machen. Das sind alles billige Ablenkungen.
Wichtig ist nur: Läuft bei dir der Motor, man könnte beim Menschen auch sagen: Schlägt bei dir das Herz? Wenn ja, dann weißt du immer was richtig ist, auch wenn dafür vielleicht noch nicht die passenden Worte gefunden werden können. Du weißt: Diese Leute tun mir gut, diese Umstände gefallen mir, diese nicht. Direkt. Ohne Nachdenken. Du brauchst keine Verhaltensphilosophie mehr, Art Ratgeber, mußt auch nichts mit deinem Bewußtsein machen, dich irgendwie konzentrieren, sondern das einzige was nottut, ist, ein klassischer Mensch zu sein. Mit allem, was dazu gehört. Und dazu zählt vor allem auch Gefühl und Hingabe, weil nur das Qualitäten sind, die einer Sache Substanz geben, etwas aus rein intellektuellem oder instinktivem Gebahren erhebt.
So, und jetzt lebe dein Leben! Was willst du sonst machen?
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