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Nick Drake - Das Wunder in einer gepanzerten Welt



Seit einer gewissen Zeit höre ich gerne in die Stücke von Nick Drake hinein. Mir wird dabei klar: Es gab, gibt und wird immer Menschen hier im Westen geben, die darf es eigentlich gar nicht geben, weil sie hier überhaupt nicht reinzupassen scheinen. Die deutsche, aber auch englische, amerikanische, französische, skandinavische, teilweise sicher auch russische, sowie mittlerweile auch moderne chinesische und japanische Kultur sind gepanzerte Strukturen, die über jede Art Feinsinn und Zartheit drüberfahren, und normalerweise auch nichts davon übriglassen bzw. nur stark verstümmelt zurücklassen, was unter ihnen als Mensch auf einen grünen Zweig zu kommen versucht.


In diesen Kulturen, wie sie sich momentan darstellen, ist deswegen auch heute so gut wie keine eingebettete, religiöse Anlaufstelle auffindbar, die in fruchbarem Austausch mit der Umgebung steht, weil das westliche Denken als solches, von dem praktisch 95% der Welt beeinflußt ist, so etwas gar nicht dulden kann, genauso wenig wie der Verstand auch nur ansatzweise ein authentisches Herzensgefühl nachvollziehen kann. Es sind quasi zwei entgegengesetzte, ja fast schon verfeindete Tendenzen, die da aufeinandertreffen.


Mitunter liegt damit auch meine zeitlebens vorhandene Schwierigkeit mit dieser deutschen Kulturumgebung begründet, die auf mich auch immer sehr kalt, hart und unbarmherzig gewirkt hat und mich deswegen immer irgendwo auch abgestoßen hat, wenngleich es natürlich auch mit einigen, wenigen Menschen Ausnahmen gab, die dann aber keine typischen Deutschen waren, sondern eher Land-Bayern, türkischstämmig oder eben anderweitig von der Norm abwichen. Russen hatten im Gegensatz dazu zwar oft kameradschaftliche Züge, die aber meist eher oberflächlichen Charakter hatten, mehr auf starken Posen basierten. Da waren im Vergleich dazu die Deutschen meinem Gefühl nach wieder ehrlicher, wenn sie Freundschaftlichkeit zeigen wollten.


Worauf ich hinaus will: Westlichen Menschen geht es vor allem um ihr Ego. Einem Menschen wie Nick Drake ging es in seinen Liedern jedoch um ein Herzensanliegen, die z. B. den Kontakt mit einer tieferen Traurigkeit und einem Gefühl von Unverständnis sucht, diese dunklen Seiten der Seele nicht wegzudrängen versucht, durch Genüsse, Erfolg, Macht oder Prestige, sondern sich mit ihnen anzufreunden versucht. Die falschen Augenmerke, die hier im Westen als wichtig und beeindruckend klassifiziert werden, sind in Wahrheit hohl und unbedeutend, haben keine wirkliche Substanz.


Ein Liedermacher wie er hat diese Hohlheit durch seinen ungemein subtilen, unübertreffbar feinfühligen Stil geradezu untergraben, den kompletten Boden unter den Füßen weggezogen, diesem falschen Weltbild die Maskerade heruntergezogen und die häßliche Fratze offenbart, die tatsächlich dahintersteckt. Kein Wunder, daß so ein Mensch praktisch unbekannt bleibt, denn an der Qualität seiner Musik lag es nicht. Wie bei allen wirklich wertvollen Dingen, erfreut sich nur ein Spezialistenpublikum dieses besonderen Angebots.


Ich merke z. B. an den Nachbarsjungen, die manchmal ein Stockwerk unter mir Treffen haben, "feiern", daß das Sich-betrinken, die laute Musik und auch die Art des Lachens eine sehr abgestumpfte Atmosphäre erzeugen. Etwas derart Feines wie Verständnis, Vertrauen oder Sich-öffnen ist in so einer Umgebung gar nicht möglich. Auch Sexualität ist in solchen Kreisen dann meist nur ein Reiben der Geschlechtsteile zweier verspannter Körper ohne Fließen und Erotik. Die Panzerung zeigt sich eben vor allem eben auch darin: Daß die Erotik mechanisch ist. Daran ändert auch nichts, daß doch Kinder auf die Welt kommen, weil zum Samenerguß kommt der Mann schon irgendwann, wenn der Druck eben so stark ist, daß es eben rausmuß. Mit fließender Erotik hat das aber nichts zu tun. Dafür braucht es zwei Menschen, die auch ein stückweit ihr Ego hinter sich lassen wollen, sich anvertrauen, ihre starren Denkannahmen hinterfragen und über Bord werfen wollen.


Jemand mit einer seelischen Tiefendimension und Sensibilität wie Drake war deshalb auch in den 60/70er-Jahren alleine, wie hier nachzulesen ist, einer Zeit in der das Geschlechterleben eigentlich noch halbwegs lebendig schien. Aber Frauen hier im Westen scheinen wohl mit diesem Reichtum nichts anfangen zu können, weil es nicht so auf sich aufmerksam macht. Oder sie bewundern es nur heimlich aus der Ferne.


Es braucht jedoch Menschen, die sich damit konfrontieren, was alle andere verdrängen. Die Traurigkeit, Einsamkeit, Depressivität und Sinnlosigkeitsgefühle auf irgendeine Art und Weise verarbeiten müssen, selbst wenn es keiner um sie herum versteht. Und diese Stimmungen sind auch alle nicht schrecklich und schlimm, sondern machen echtes Menschsein überhaupt erst möglich. Wer immer nur meint lachen zu können, immer nur freundlich ist, dem fehlt komplett die Tiefensubstanz als Mensch, der verdrängt, und ist damit umso mehr böse und gehässig, weil er Teile von sich und damit implizit auch von anderen ablehnt. Nur solche Menschen werden dann aggressiv, streiten und richten Schaden an. Jemand, der versucht mit sich selber klarzukommen, braucht nichts mehr auf andere projizieren. Er wird bescheiden, ruhig, verständnisvoll.


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