Ich möchte mehr auf den Selbsterkenntnis-Aspekt bei der Thematik eingehen. Ich muß nämlich feststellen, daß ich mich doch ziemlich stark in den ganzen Anregungen und Themen in der Politik- und Demolandschaft der letzten Tage verloren habe, von der Aufmerksamkeit regelrecht eingesaugt wurde. Das merke ich vor allem immer daran, wenn ich in so eine Art Rausch gerate, d. h. ich projiziere entweder Euphorie und Hoffnung, oder als Gegenstück Enttäuschung und Resignation in die Zukunft. Beides sind vom Verstand aufgebauschte Emotionen.
Letztere Stimmungslage habe ich durchaus kurzzeitig gemerkt, als die Nachricht eintraf, die Demo wird abgesagt. Es ist wie, wenn ein Geburtstag gecancelt wird, auf den ich vorhatte zu gehen. So ähnlich hat sich das angefühlt. Die Vorfreude schlägt um in Enttäuschung. Hier habe ich gemerkt, daß da bei mir etwas grundlegend in die Irre gegangen ist. Ich habe den Veranstaltern, wie den Absagern eine zu hohe Bedeutung beigemessen.
Was erwarte ich nämlich von dieser Veranstaltung? Lebensglück, Zufriedenheit? Ist das etwa ein Konzert oder Event, bei dem es um tolle Erfahrungen und Erlebnisse geht? Natürlich nicht. Es ist nicht mehr als eine Demonstration, ein Spaziergang, ein Willens- und Interessensausdruck der Menschen, die einfach zeigen wollen, daß sie auch noch da sind, ganz nüchtern. Viel zu viel Tamtam mit Bühnen und Musik, würde davon irgendwie auch nur ablenken.
Mir geht es hier um den Selbstverlust der eintritt, wenn all das wichtiger genommen wird, als die eigene Lebenswirklichkeit. Deutschland muß gerettet werden. Dies und das ist ungerecht, der und die sind böse, müssen weg, der und die sind gut, gehören unterstützt. Damit will ich nicht sagen, daß hier in dem Land so einiges aufgeräumt gehört, nur, ist das wirklich meine Aufgabe? Bin ich in der Position, so etwas zu beeinflussen?
Die Zeitgeschehnisse gehen ihren Gang, und ich bin durchaus froh, daß hier jetzt so eine Bewegung reinkommt, denn das ist lange überfällig, aber für mich selber ändert sich dadurch ziemlich wenig muß ich zugeben. Klar, in der Öffentlichkeit hat sich das Klima besonders auch durch die Masken massiv verschlechtert. Offenes, herzliches, menschliches Miteinander ist praktisch verunmöglicht, sehr eingeschränkt, worunter ich doch sehr leide. Aber so unangenehm das ist, so unnötig wäre jetzt Verspannung und Hysterie, denn umso mehr brauchen wir menschliche Qualitäten, die vorher nicht ans Licht kamen. Und da sehe ich eher meine Aufgabe: Daß eine positive Alternative mit den zu kurz gekommenen Qualitäten doch wieder irgendwie zum Zuge kommt, nicht das Politisieren und Herumreden über Themen, auf die ich sowieso keinen Einfluß habe. Das ist dann aber unmerklich, macht nicht so auf sich aufmerksam, wirkt unscheinbarer.
So habe ich letztens auch öfter als sonst mit einfachen Leuten Gesprächen angefangen, z. B. an der Supermarktkasse oder beim Dönermann, die auch sehr dankbar waren, daß ihr normaler Lebensalltag etwas aufgebrochen wurde. Sie erzählten mir z. B., daß ihnen vom Arbeitgeber fünfzigtausend Euro Strafe drohen, wenn sie einen Kunden nicht auf die Maskenpflicht hinweisen, was mich schockiert hat. Vor allem mit den Leuten am Grill hatte ich Mitgefühl, die mit Maske bei der Hitze arbeiten mußten. Hier kommt wieder die persönliche Dimension zum Zug, hier gibt es was zu geben, nicht nur bei den Demos, sondern jeden Tag, überall, mit jedem. Und das ist das Selbstverständlichste überhaupt, nichts Besonderes. Auch das Spazieren in Berlin wird das: Das Selbstverständlichste, Normalste, Alltäglichste der Welt. Etwas, was ich sonst auch tue, wenn ich hier in meiner Stadt vor die Türe gehe, hier draußen mich so zeige, wie ich bin. Nun halt mal in Berlin.
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