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Begegnung mit einer Behinderten


Eine Begegnung in dieser Woche ist mir noch hängengeblieben. Bei Kunden wurden wir zum Mittagessen eingeladen. Es war richtig warm, und wir haben uns auf der Terrasse gemütlich gemacht. Später kam dann um die Ecke die behinderte Tochter der Kunden, die geschätzt etwa in meinem Alter war. Sie wirkte geistig zurückgeblieben, kannte aber nicht die Bezeichnung für ihre Krankheit.

Was mich berührt hat, war ihre Nervosität, als sie um die Ecke kam und sich sofort hinter einem kleinen Busch versteckte, und mich und den Kollegen erstmal aus der Distanz beobachtete. Schlußendlich hat sie sich dann überwunden, sich angenähert und uns beiden mit einem Lächeln die Hand geschüttelt. Dann ist sie schnell wieder weggegangen, und hat uns wieder beobachtet.

Ich fand das so sympathisch, weil sie sich ganz verletzlich gezeigt hat, keine Fassade aufgebaut hat. Es ist ähnlich wie bei Kindern, die ja auch erstmal abtastend bei unbekannten Leuten sind, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Und genauso ist sie in dieser einfachen Art, so wie sie ist, wertvoll. Und wenn sie einen einfach nur anschaut, dann habe ich mich auch sofort angenommen gefühlt, weil sie von unserer einfachen Begegnung so fasziniert war. Im Gegensatz zu allen anderen „normalen“ Frauen, die sofort mit Abschätzungen kommen, taktieren, Blickkontakt abwägen, die ganzen üblichen, unehrlichen Spielchen auffahren.

Natürlich hat sie nicht die Kapazitäten eines gesunden Menschen, aber dafür hat auch niemand Erwartungshaltungen an sie. Sie muß keinen gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden, ist z. B. auch von diesem erotischen Theater frei, hat keine Aktien darin. Aus ihr muß nichts werden, sie lebt so, wie es ihr möglich ist, so lange es eben dauert und da ist eigentlich gar kein Problem. Es war ihr Schicksal so zu sein. Das Problem fängt an, wenn man meint, daß sie anders hätte sein müssen.

Genau wie ja auch die Nationalsozialisten Menschen mit geistigen Behinderungen als lebensunwert abqualifiziert haben, und sie wie am Spielgrund in Wien hinrichten ließen, genauso lehnten ja diese Leute damals alles Nicht-Funktionale in sich selber ab, man könnte sagen, den Behinderten in sich selber. Der Behinderte löst ja in einem auch etwas aus, läßt dich erstmal unsicher fühlen, weil du nicht weißt wie du mit ihm umgehen kannst; zeigt auf, daß die Existenz eben nicht wie eine geölte Maschine läuft (die man wie im Sozialismus planen kann, wo Menschenmassen mobilisiert, wie in einem Räderwerk, für Munitionsproduktion und Kriege mißbraucht werden können), sondern daß sie genauso diese unliebsame, verdrehte Seite hat.

Dieser Haß auf Behinderte ist im Kern eine Projektion. Projiziert wird die eigene geistige Dürftigkeit, ja eher schon Grausamkeit, auf diese schwachen, fehlentwickelten Menschen. Die sind dann der Fehler, wobei sie dabei übersehen haben, daß sie selber eigentlich die Beschränkten waren.


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